Deutsches Rechtswörterbuch (DRW): Kanton

bestimmtes abgegrenztes Gebiet, Bezirk; als Fremdwort hier nicht näher mit Belegen zu behandeln
I unterer territorialer (Verwaltungs)bezirk in einem der 3 Ritterkreise Schwaben, Franken, Rhein (seit 1500) mit einem Kantonsdirektorium (gebildet aus Ritterhauptmann, Ritterräten, Kantonsausschuß) an der Spitze, dem Matrikelführung, Steuerrecht und Vertretung der Angehörigen der Reichsritterschaft beim Reich zusteht
II Bezirk mit einer schwankenden Zahl von Feuerstellen oder einer zugrunde gelegten Bevölkerungszahl, der einem bestimmten Truppenteil zur Aushebung zugewiesen ist (Rekrutierungsbezirk). Die Registrierung und Aushebung liegt vorwiegend gemeinsam bei Militär- und Zivilbehörden (Kommissionen). Das Kantonssystem ist als Vorläufer der allgemeinen Wehrpflicht anzusehen, beruht jedoch auf der Unterscheidung von privilegierten und nicht privilegierten Klassen. Auf Grund der dadurch bedingten meist zahlreichen Befreiungen von der Kantonspflicht wird in keinem Land der Status der allgemein Wehrpflicht erreicht. In den preußischen Provinzen Einrichtung des Kantonssystems ab 1733 mit späteren Neuregelungen, in den niederrheinisch-westfälischen Provinzen 1735, in Schlesien 1743; nach dem Frieden v.Lunéville sofortige Einführung in den preußischen Entschädigungsländern Münster,Paderborn, Essen, Werden usw., von Bestand bis 1814. Registrierung und Aushebung liegt zuerst bei den Pfarrern, später bei den Offizieren und schließlich 1763 bei militärisch-zivil gemischten Kommissionen. Die Einrichtung spielt nur in Preußen eine grundlegende Rolle und ist in anderen Ländern nur von kurzer Dauer. In Österreich finden die Forderungen Josephs II. nach Einführung von Kantonen seit Ende 1765 mit versuchsweisen Erprobungen in der Folge 1711 (Haberkern-Wallach2 326: 1770) zu deren Einrichtung (zunächst gebietsmäßige Ausnahmen). Hier spielt nicht nur die Bevölkerungszahl (Volkszählungen), sondern auch die Zahl des Viehbestandes eine Rolle. Registrierung der männlichen Einwohner und des Viehbestandes erfolgt durch einen Stabsoffizier zusammen mit einer Anzahl Ober- und Unteroffizieren. Mit den preußischen Kantonen bestehen vielfältige sachliche Übereinstimmungen. In sprachlicher Hinsicht wird im Ggs. zu Preußen überwiegend Werbebezirk, nur vereinzelt Kanton gebraucht, letzteres auch noch nach Ersetzung des Kantonssystems. Besondere Variante in Österreich: 1787 (vorbereitende Versuche seit 1784) Einrichtung des Kantonssystems in den Militärgrenzgebieten, mit Ausnahme des siebenbürgischen Gebietes, für die zivilen Angelegenheiten eines Regimentsbezirks (Einführung einer selbständigen Kantonsverwaltung). Ein Stabsoffizier ist Chef der Verwaltung, häufig als Kantonskommandant oder Kantonsoffizier bezeichnet. Auch hierbei tritt die Bezeichnung Kanton vor 1787 nur vereinzelt auf (vgl. Hietzinger,Militärgrenze II 2 S. 45; A. Gürtler, Die Volkszählungen Maria Theresias ... 104). Das Kantonssystem in den österreichischen Ländern bewährt sich nicht und wird 1800 wieder aufgehoben. In den süddeutschen Rheinbundstaaten Einrichtung von Kantonen um und nach 1800 (Baden Ende des 18. Jahrhunderts [Pflüger,BadHeerVerf. 62], bes. 1804-08 und Wiedereinführung 1819 wohl bis 1821; Bayern 1805-12; Württemberg 1806-09). Hier Mischung preußischer und französischer Einflüsse (Baden als unmittelbarer Nachbar Frankreichs dem französischen Einfluß am stärksten ausgesetzt, vor allem ab 1806; Württemberg entzieht sich am meisten dem Zwang der Anpassung an französische Militärverhältnisse; in Bayern starke preußische Anklänge mit der Neuerung des Verzichts auf Ausländer). Dieser doppelte Einfluß gilt auch für den sprachlichen Bereich. In Baden wird auch nach Abschaffung des Kantonssystems vereinzelt das Wort Kanton noch in Zusammensetzungen gebraucht; in Württemberg auch vor 1806. In Bayern liegt die Rekrutierung bei den Militätbehörden und dem jeweiligen Kantonskommandanten; in Baden führt die Oberaufsicht das Kriegskollegium, nach 1819 eine Generalkantonsinspektion (Besorgung der Rekrutierungsgeschäfte durch einen Stabsoffizier); in Württemberg leiten Kantonsgeschäfte Kantonskommissionen, bestehend aus dem Kreishauptmann, etlichen Offizieren und Staatsbeamten, einem Militärarzt und dem Kreisphysikus
III in der Schweiz im 15. Jh. vereinzelte, später zunehmende Benennung eines Gliedstaates der Eidgenossenschaft; Verwendung in deutschen Aktenstücken bis 1798 selten (allgemeinere ab Ende des 17. Jh. im privaten Sprachgebrauch), seit 1798 generelle Bezeichnung für einen selbständigen Bundesstaat der Eidgenossenschaft (an Stelle der früheren Bezeichnung 1Ort (VI)); 1798-1803 ähnlich den französischen Departementen primär nur Verwaltungsbezirk ohne politische Selbständigkeit, nach der Mediationsverfassung von 1803 wieder in der Rechtsstellung eines Staates mit dem Recht, sich eine eigene innere Verfassung zu geben und großer Freiheit hinsichtlich der inneren Ordnung, auch nach dem Bundesvertrag von 1815; ab 1830 in den meisten Kantonen demokratische Wandlungen. Da vor allem die Jahre 1798-1803 eine Übergangszeit mit politischer Unsicherheit und rascher Folge von Änderungen sind, stammt ein Teil der aufgeführten Stichwörter und Belege nicht aus dem geltenden Recht der betreffenden Jahre, sondern aus schriftlich geführten Verhandlungen und Entwürfen zu Kantonsverfassungen. Die Quellenangaben ohne Hinweis auf einen bestimmten Kanton beziehen sich entweder auf mehrere Kantone oder auf die gesamte Schweiz
IV während der napoleonischen Herrschaft (in Anlehnung an die Verwaltungsorganisation in Frankreich) in den linksrheinischen und schließlich in anderen Gebieten Deutschlands (auch über den Zeitpunkt der Befreiung 1814 hinaus) eingerichteter unterster Staatsverwaltungsbezirk zur zentralen Verwaltung kleiner Gemeinden unter 5000 Einwohner durch die sogenannte Kantonsmunizipalität (gebildet aus den Vertretern der Gemeinden, den Munizipalagenten) dieser Artikel ist wegen der damaligen Regelungen bezüglich der Aufnahme von Fremdwörtern im DRW nur als Sachartikel ohne Belege behandelt worden. Die ursprüngliche Gliederung mit Großbuchstaben wurde aus Gründen der Systematik angepaßt