Deutsches Rechtswörterbuch (DRW): abscheiden

abscheiden

(avescheiden, afscheiden, afscêden)
das Grundwort scheiden, soviel als "sondern, trennen" bedeutend, hat zu vielen fortlebenden Rechtswörtern, wie Bescheid, Entscheidung, Schiedsgericht, Ehescheidung, Abschied, verabschieden, den Stoff geliefert. In der Verbindung mit der Adverbialpräposition ab-, die den ursprünglichen Sinn zu einem völligen Trennen oder Absondern verstärkt, gehört es überwiegend dem geschichtlichen Recht an

I intransitiv

I 1 sich von einem Ort wegbegeben
  • rex Danorum cum suis post tempus nostri recessus a vobis tres naves nobis abstulit
    1368 HanseRez. I 390 nr. 430 [Lübeck an Cöln]
  • nach Austreibung der Juden aus Augsburg wird zwei Juden zur Besorgung ihrer Geschäfte der Aufenthalt in der Stadt für einen Tag in einem bestimmten Hause gestattet und darauß nit koment noch uff die gassen gangent bis uff ewer abschaiden 
    1440 AugsbChr. II 381, 2
  • item do man zu Bamberg auf dem vorgeschriben tag was ...; it. und nach abscheiden des vorgenanten tags zu Bamberg ...
    1449 NürnbChr. II 126,34 u. 129,27
  • in Streitigkeiten zwischen Stift und Stadt Sinsheim waren die Parteien vor unsere hofrichtere und rhate zu recht gewachsen, auch vor und nach solcher rechtfertigung oftermals gutlich handlung furgenohmen, aber allwegen on endts abgeschieden resultatlos auseinandergegangen 
    1513 Urk. des Pfalzgr. Ludwig/OStR. I 432
  • bot der kaiser u. der kinig ... den 13 [des innern raths zu Augspurg] die handt u. ließ sie abschaiden 
    1530 AugsbChr. V 394, 24
  • HanseRez. I S. 239 nr. 297
I 2 der örtliche Begriff ins Geistige übertragen: aus dem Leben weggehen, sterben
  • ich habe lust abzuscheiden 
    Lutherbibel(1534) NT fol. 139v (Philipper 1, 23)
  • szo einer von dißem jamertal abschiedt bei uns, u. er machet ein testament ader geschäft ... wie er das schickt, szo sol es ein furgang haben
    1536 Böhmen, Saazer Kreis/Ruge von Pröhl/Schlesinger,Weist. I 179
  • Anfrage bei Göppingen: so zway ehegemecht von ainander todes abschaiden, eheliche kinder bey und mit einander erzeugt verlassen u. sich dz lebend bliben ehegemecht widerumb verheuret, wie es alsdann gehalten wirdt
    1552 Fischer,Erbf. II 190
  • im selben 1557ten jor uff den 10 novembris ist mein libe haussfraue Maria gotselig im hern entschloffen und von diser welt abgescheiden 
    oJ. ArchRefG. 8 (1910/11) 264
  • wann under zwaien ehegemechten das ain mit tod abschaidt 
    oJ. Fischer,Erbf. II 191
  • [Hermann] ist im zwelften seins gewalts von diser welt abgeschieden 
    oJ. Turmair,BayrChr. I 606
--
bei den Mystikern sehr beliebt, um die Lossagung eines Menschen von allem Äußerlichen auszudrücken
  • dem Großfürsten Witod von Littauen sann der deutsche Orden einen Eid an, mit keynen ungeloubigen abgescheidenen adir abgekarten cristen wedir allerley cristen land ... keynerley vorbindunge einzugehen 
    1396 Hochmeister an den Ordensprocurator in Rom/CDPruss. V 110
  • Wiedergabe des Namens der Pharisäer gemäß seiner wörtlichen Bedeutung. Davon abescheydelinge, pharizei
    oJ. Diefenb.-Wülcker 15
  • die bischöff u. die abgescheidenen versamelten sich in ein rat wider Jesum
    oJ. Geiler v. Keisersberg, Postille (Straßbg. 1522) II A. iijb
  • we uch schrifftgelerten u. abgescheidenen gleyßner, ir die do essent die hußer der witwen
    oJ. Geiler v. Keisersberg, Postille B. ijb
  • waz ist abgescheiden? daz an nihtes niht haftet
    oJ. Taulers Nachfolger/Mystiker I 431
  • so ist niendert ganziu ruowe denn alleine in dem abgescheidenen herzen
    oJ. Meister Eckhart/Mystiker II 491, 14
I 3 Loskommen von einer Anklage oder Strafe
  • na deme Hans Pors der slachtinge tostunde vnde dar doch neyn blodich noch blauw mede wer, ok mit egge vnde orde nicht wer gewracht, ßo mochte H.P. mit twelff schillingen Lubesch dar aff scheden 
    1492 Urteil von Lübeck nach Anclam/OberhLüb. 290
  • item welker mann in bröke vorfalt unde in gnaden na gelegenheit sines gudes und der sake afscheiden will, deme schall men gnade bewiesen
    1517 R.d.alt.L.(Krause) 111
-- ebenso wie scheden in gleichem Sinne gebraucht wird
  • Mukes [unter dem man gestohlnes Gut fand] schedede dar van mit rechte. lat.: unde ipsi cum omni jure separabantur
    oJ. StralsVerfestB. nr. 454. 500 u. S. LXX
I 4 sich von jemandem trennen
  • mir geschach noch nie so leit als von dinem abescheiden 
    15. Jh. Loher und Maller/Lexer III Nachtr. 9
  • so aber unser gnädiger herr sach, das ... sein landschaft von im abschaiden solt, was trüebsal er in seinem herzen gehabt hab, wär gar vast mit laid zu vernemen
    oJ. Turmair,BayrChr. II 581
I 5 auch der Wechsel in Besitzverhältnissen mit demselben Wort bezeichnet
  • es ist gedadingt, want sij nu die evensait wynnent, so sullent sij dit jair datum deser zedulen ind yn yrme avescheiden die halve evensait haven
    1465 Pachtbrief/SPantaleonUrb. 433 N. 1
  • soe die vurschr. elude die weiche sayt in deme yrsten jaere [am hofe] gehadt hand, daromb wir die weiche sayt des lesten jaers in avescheiden der vurschr. elude an uns nemen sullen
    1496 Pachtbrief/SPantaleonUrb. 476 Note
I 6 Abgang aus einem Amte
  • it. die verordneten sollen das alles dermaßen bestellen, das solches in guten ördentlichen wesen bleib und nit nach irem abschaiden die alt unordnung wiederumb eintring
    1536 Visitations-O. v. Nürnberg/JbMittelfrk. 53 (1906) 14
II transitiv

II 1 Sachen räumlich voneinander trennen
  • dez koz man von den zwein dorfen Sultzpach und Soden der aldesten und der warhaftisten setzehene, die swuren uf den heilgen, daz sie abescheiden sulden, waz zů der gemende horte ... die scheidunge geschach
    1323 FrankfUB.(Lau) II 184
  • wol dat de dyk, den Johan de Rese gehat hadde, to deme vorschrevenen lande horet, doch so hefft Ernst [der Verkäufer des Landes] den sulven dygk mit dem bleke, alse de nu affgescheiden is, ... sek u. sinen manerven beholden
    1431 HildeshUB. IV nr. 130 S. 92
  • jeder kann von dem nachbar verlangen, daß die beiderseitigen grundstücke durch grenzsteine ... gegen einander abgeschieden werden
    oJ. SächsBGB. § 364
-- begrifflich unterscheiden
  • de nicht löven, dat ... dat brot sy dat lyf Christi ... wo scholden se it van andern spysen imme herten afscheyden, wen se nicht löven, dat it dar sy, unde hebben it ok darumme nicht
    BrschwKO. 1528 S. 188, 15
II 2 wegnehmen
  • zum 13. kumbt für, das ir etteliche iren vortel und nutz allein nachgehen, von andern orten vich aufnemen und also das uff der gemein gehen lassen und waiten, dardurch das der andern vich das futter für den maul wirt abgeschieden und also ir vich nit erholden mogen
    1586 Kärnten/Gemeinbrief zu Pollheim a. 13/ÖW. VI 522
II 3 Personen, insbesondere Hauskinder beim Verlassen der Hausgemeinschaft vermögensrechtlich abteilen
  • mit dessen dingen schal de sulve vrowe van alleme anghevelle afvorscheden wesen
    1312 BrschwUB. II 378, 23
  • sine ersten dochter de was afghescheden, de sone ore vulbrodere blef mid deme vadere u. mid den anderen kindern ... in samedeme gude c. 
    1350 HildeshUB. II nr. 446 S. 273
  • were dan sache, dat der vader off moider, die alsus mit yren kynderen gedeilt hetten ind afgescheyden weren, dan darnae eynche schoult machden ind dan aflivich wurden, ind die kyndere ... sich des erfs ind gutz ... sonder inventarium annyemen, so soilen ouch dieselve kynder ... die schoult betzailen
    1437 KölnStat. a. 14/KölnAkten I 648
  • item weren dar ein edder mer kinder afgeraden edder van der heerschop gescheiden, und ein edder mer kinder weren under der heerschop mit seinem deele sines vorutgesprakenen geldes im erfhuse edder unafgescheiden gebleven, darna stervet dat kind, de im gude is gebleven, de butenen geven inkamelgeld, willen se erven; de nicht afgescheiden, seind des freie
    vor 1531 RügenLR. Kap. 50 § 5
  • sitten de soͤne na der moder dode mit dem vader in der gemenschop unde sint 15 winter dat is jare oldt unde willen van dem vader affscheden, so mach he en erer moder gudt nicht vorentholden
    1593 JütLow.3 I 7 § 1
II 4
  • bei Ausübung des Rechts der Erblosung weren zween oder mehr gleich nahe erben, die mögen es gleich sameter hand thun, und ir keiner hat seinen gleichen nahen erben abzuscheiden, der das mit zu thun begehret
    1321 SaarbrückenLR. c. 2a. 4
  • von einem Recht, aus einer Gemeinschaft ausschließen und behalde mich dy macht czu tun und szu lasin dyweile ich lebe und abscheyde alle meyne bruder
    1399 KrakauStB. II 217
  • jemanden von der cristenhait abscheiden, excommunicare
    oJ. Diefenb.-Wülcker 15
II 5
im Gebiete des Eherechts
  • dieweil Christus in dem fall des ehbruchs das scheiden zuläßt ... so wird gänzlich erachtet, daß er zulaß eine andere anstatt der abgeschiedenen zu heiraten
    1520 Luther, v. der babylon. Gefängniß/Strampff, Luther über die Ehe 350
  • wer ein abgescheidete freiet
    Lutherbibel(1534) NT fol. 4r (Matth. 5, 32)
  • wer sich scheidet von seinem weibe vnd freiet ein ander, der bricht die ehe; vnd wer die abgescheidene von dem manne freiet, der bricht auch die ehe [quisquis a viro dimissam ducit, moechatur] 
    Lutherbibel(1534) NT fol. 51v (Luk. 16, 18)
II 6 Dienst- oder Untertanverhältnisse verlassen
  • es soll zu verhutung unwillens keyner dem andern seynen diener zu dienst annemen, er sey denn zuvor von jhenen aufrichtigerweise abgescheiden und habe deß guten schein und paßport
    1554 Hofordnung Kurf. August v. Sachsen/Kern,HofO. II 47
  • es soll auch niemand ... frembdes gesinde zu dienst aufnehmen, es könne denn ... gnugsame kundschaft fürbringen, daß es redlich abgeschieden sey
    1577/83 LünebRef. 797
  • nachdem viel frembde einkömmlinge in unser stadt, sonderlich in keller u. buden einschleichen ... da dieselbige unbekannt wären, wollen wir sie vor etliche unsere verordneten fodern lassen, ursachen ihrer ankunft, auch woher sie kommen, wie sie abgeschieden ... mit allem fleiß erforschen laßen, und da sie ... gnugsame abschiedsbriefe fürlegen, sollen sie allhie geduldet werden
    1577/83 LünebRef. 805
  • ein jeder, der sich unser obrigkeit uñ gebiete in staͤtten flecken oder doͤrffern haͤußlichen zubegeben vnd zu setzen vorhat, der sol zuforderst von seiner herrschafft, darunter er zuvor gesessen, uhrkunt uñ kundschafft, daß er redlich gehandelt vnd abgeschieden sey, fuͤrlegen
    1599 OPfalzLO. 145
II 7 wie scheiden (scheden) in den Urteilsformeln der Gerichte für "erkennen, urteilen" (zB. Haenel, decis.coss. Goslar [1862] passim) verwendet wird, so auch abscheiden: einen Streit entscheiden, sei es als Schiedsrichter, sei es als Richter
  • dat annamede dar unse here hertoghe Hinrik van beyden partyen, u. me schedede dar aff aldus
    1418 Pfaffenbuch/BrschwChr. II 37, 19
  • affscheden na gnade offte rechte
    1433 Bremischer Landesbrief/BremStR. 580
  • de rad leyt syne [des Klägers] wedderpart vorboden unde lutterde syne sake u. dede eyn rechtscheding darover unde schedede ome [Hinrik Dedeken] dat aff, wente he unrecht in der sake hadde
    1514 Schichtbuch/BrschwChr. II 342, 4
  • mein gn. herr [Abt v. Melk] befilcht, das die vom rath alle freytag ... zu dem richter kommen und alda die klag und andere nothurft sollen helfen verhören handlen und abscheiden 
    1558 Gerechtigkeit zu Melk/Kaltenbaeck I nr. 21 § 39 S. 121
-- zu übersetzen: und erkannte ihm das ab
  • sante syne frunte thu deme rade, die dar ok mit eyndracht umme die sake affscheiden, dat Heddersleve scholde kysen twe syner frunde und die rad [v. Zerbst] ok twene
    Mitte 15. Jh. MagdebSchSpr.(Friese) 165 nr. 22
  • na deme he id eme to eynes [= eydes] hand gelecht hefft, is he denne myt rechte dar affgescheden, so darff he dar vorder nicht to antworden
    1485 OberhLüb. 244
  • zuerst Klage beim Amtmann. genügt das nicht, so mag der anclager bei dem hofrichter clagen; mag nun der hoffrichter beede thail, ausser behelligung ierer gnaden aines herrn praelaten, verainigen und abschaiden, so bleibt es dabei
    Ende 16. Jh. Seitenstetten/ÖW. IX 743, Z. 3
II 8 besonders liebt die mittelalterliche Rechtssprache das Ergebnis einer Beratung, den Abschluß einer Versammlung mit abscheiden zu bezeichnen. Gemeint ist eigentlich: in einer Zusammenkunft haben sich die Teilnehmer über gewisse Punkte geeinigt und dann getrennt. Der letzte Akt, das Auseinandergehen (recedere), hat zur Bezeichnung des Ganzen geführt. Erst im 15. Jh. in diesem Sinne häufiger bezeugt, war das Wort schon früher in Gebrauch, wie lat. Urkunden, die das deutsche Wort durchscheinen lassen, zeigen
  • noveritis prout vestri nuncii et nostri vobiscum nuper in Rozstok separati fuimus concorditer in isto ...
    1358 Stralsund/HanseRez. I S. 145 nr. 218
  • civitatenses orientales sic sunt a nobis separati, quod ipsi velint omnibus et singulis nostris institucionibus ... consentire
    1368 Lübeck/HanseRez. I S. 389 nr. 428
  • secundum quod in Colonia fuimus separat
    1368 Lübeck/HanseRez. I nr. 429
-- in demselben Sinn wird auch recedere verwendet
  • super negocio vestro cum illis de Campen, quod eis, sicut a vobis pridem nostri consulares recesserunt, ... scriptum misimus
    1355 Lübeck/HanseRez. I S. 121 nr. 194
  • die flämischen Sendeboten auf dem Hansetage zu Lübeck under den u. anderen vel wortin zo botin sy in deme abescheiden, das man wolde anseen got u. den statum des armen landes von Vlandern. dy gemeynen stete habin mit yn eyns tagis vorramet ... in sulcher maze, als is in deme abescheidin czu Antworpe blebin was
    1389 HanseRez. III nr. 426 S. 443
  • wanne de sendeboden, van unser weghene dar geschicket, wedder to hus ghekomen weren, de schullen uns allen dat avescheydent des geholdenen daghes ... witlik don
    1426 QuedlinbUB. I nr. 302 S. 263
  • so gi uns in dem ... breve ... gescreven hebben umme dat hovewerk na dem aveschedende des dages lesten to Halberstad geholden, alse wii des van unsem schrivere wol sin berichtet
    1432 HildeshUB. IV nr. 158 S. 108
  • in einer vorbereitenden Verhandlung zu Braunschweig war den abgeordneten Städten zur Pflicht gemacht se scholden in eyn yowelke dusser stede [der verbündeten Städte] scrifft senden, de recessus eder wat dar gehandelt were
    oJ. HanseRez. VIII nr. 37 S. 27
II 9
abscheiden mit Akkusativ der Person und Genitiv der Sache heißt soviel als jemanden von etwas abbringen
  • ich wene, um einen futersac / er [der Durinc] wolde einen gantzen tac / sich slahen mit den heiden / wir wollen in des abescheiden 
    oJ. LudwKreuzf. v. 3404
II 10 sonder afsceden ohne Aufhören
  • ende dedem manscap sonder afsceden 
    oJ. Maerlant,SpHist. III S. 284
  • übersetzt perpetuum illi paciscitur homagium Vincenz v. Beauvais, Speculum histor. [vom Papst Gerbert und dem Teufel]. om te bliven in ewicheiden aen Brabant sonder afscheiden 
    oJ. MnlWB. I 262 [nach Willems,Brab. VI 11503]
II 11 abscheiden kann auch den Sinn von ausschließen, gewinnen und so in der allgemeinen Gefährdeklausel verwendet werden
vgl. verabschieden
  • alreleye argelist unser ind unser erven afgescheiden 
    1344 SGereonUB. S. 376 nr. 363
unter Ausschluss der Schreibform(en):
unter Ausschluss der Schreibform(en):