Deutsches Rechtswörterbuch (DRW): Notwehr

Notwehr

, f.


I Abwehr, Verteidigung gegen einen Angriff auf Leib oder Leben oder auf sonst schützenswertes Rechtsgut und damit Rechtfertigungsgrund, der einer an sich strafbaren Handlung den Unrechtsgehalt nimmt; im römischen Recht gilt dies als natürliches Recht (Dig. 1, 1, 3; 9, 2, 4 pr.)
  • si werten lîp unde guot, sô der billîchen tuot der beidiu reht unt ellen hât unt man in nôtwer niht erlât
    Ende 12. Jh. Konr.v.Fußesbr.(1973) 2118
  • defensio proprii corporis i.e. notwer probetur pro mortuo cum ignito ferro
    1221 WienRQ. 31
  • wundet ok en man sinen herren, oder sleit he ene dot an notwere, oder de herre den man, he ne dut weder sinen truwen nicht, of de not op ene mit rechte vulbracht wert
    1224/35 Ssp.(Eckh.2)LR. III 78 § 6
  • slecht ein man einen hunt zetode, oder pern, oder ein ander tier inner des vnd ez im schaden wil, er beleibet ez ane wandel ob er geswern getar auf die heiligen daz er notwer seines leibes tet
    um 1275 Dsp.(Eckh.1971) LR. Art. 179 § 2
  • daz diu rehte notwer also ist: swaer den andern anlaufet mit erzogem gewaefen, daz si swaert oder mezzer oder ander gewaefen, swelher hande daz ist, da er in sins libes mit benoetet, daz heizzet notwer 
    1276 AugsbStR. Art. 48 § 2
  • von notwer des strazraubes
    1295 Schwsp.(Kurzform II/Eckh.) LR. Art. 233 (Kt)
  • swer den andern ze tot sleht notwer siͤnes leibs, mag er daz bringen, als notwer reht ist, so sol er sin niht engelten
    1299 PassauStR. 176
  • wa zwen anander slahent, ob denne aine zů dem andern klegt, er hab in geslagen, und denne iene sprichet, er hab es an im angevangen, und welli ain notwer war machen, und mag er aber die notwer nit war gemachen, so sol ... der erst kleger, ob er wil, das er mit slahent nit angevangen, swerren, das er mit slahent nit angevangen hab
    2. Hälfte 13. Jh. ÜberlingenStR. 24
  • dat unz here van C. in an der stat van Z., die syn pant is, ... mit brande ind mit royue anegegriffen haue, as so dat hee dat pant durg noetwer vesten moeste
    1317 Lacomblet,UB. III 123
  • ist daz iemant wesait wiert um ein totslag und sich dez wechent, er hab di chraft mit chraft vertriben, daz ist notwere seines leibes: pewert er daz selb sibent pewerlicher manne ..., so wirt er gar unschuldig
    um 1330 BrünnRQ. 345
  • wer eyn wundet eyner kamphbar wunden in nod, magk her dy nodwer bewisen selbsobende, so mag man on dorumbe nicht bekempphen
    nach 1358 Rb.n.Dist. IV 5 Dist. 2
  • dor der sulven vredebrake willen toghen wy wedder an herthogen E. lant umb nodwere willen
    1373 HanseRez. II 58
  • alle ander sachin ghen an den halz, wo iz abir einr vngerne tet odir in notwere, dor hort genode czu
    um 1390 BlumeMagdeb. 168
  • wa einer seins leibs nötwer beweiset vmb einen mort ... vnd das ir mere ist wunt worden, dy dabey gewesen sein, vnd ir mere darnach sterben, vnd das er vmb die anderen morde angereichet wirt, so mag er auff die einen wunten gegen in allen sein nötwer behaben, seyt es an einem krige vnd gelauffe gescheen ist, vnd schol ye die ersten benennen vnd in den eyt nemen, von der wegen er seins leibs nöttwere behabt hat, das er sein wüntten von denselben vnd auch von dem, von deswegen man in nü anspricht, entphfangen habe vor, ee er in ye kein leit habe gethane, mit worten oder mit wercken vnd seins leibs in rechter nottwere gegen in allen gestanden ist
    Ende 14. Jh. BambStR.(Parigger) § 251
  • welde abir eynes mannes hunt eyn vihe biessen uff der gassen ader eynen man, unde kann man deme hunde anders nicht gesturen unde vorlutbart er dy not, so daz er iz gezeugen mag, ... unde hat der hunt wunden ... unde thar der man geweren uff den heiligen mit zwen vingern dy notwere, er blibit ane wandil
    Ende 14. Jh. GlWeichb. 429
  • pringet ... der manslacht die notwer mit czwain der genanten, so ist er ledig von dem clager vnd von der stat, vnd puͤst dem richter nach dem alten fride
    2. Hälfte 14. Jh. RegensbFriedg. 66
  • swelher purger ... sich notwer seinez leibez wert ... denselben sol der statrichter niht durch seiner wandel willn vahen
    14. Jh. WienerNeustadtStR. 188
  • do aber der egen. Z. ein notwer erberlich und redelichen fúrbracht, daz yme ouch sin leben behielt
    1416 SchlettstStR. 592
  • vmme alduͤsdanige gewald, vnrecht, homod vnde ouerdad moste wi don tom lesten nodwere doen vnde bewisen, vmme vnse land to beschermende
    1447 DithmUB. 40
  • wort umb wort ist notwer, doch nu wort und wort und nit witter
    1453 IsnyStR. 247
  • queme eyn gast in eynes unses borgers hus to bere unde de gast worpe effte sloge densulven unsen borgere mid eynem brande unde de borger nodwere unde huswere dede, dar enwere de borger deme gaste effte nemende nichtes umme plichtich
    1454 HannovStR. 424
  • wan eyn eyn notwere bewisen schal ... myt twen fromen vnbesculdeden mannen
    1456 Niedersachsen/GrW. III 267
  • die weile wir ... wider ... vnser crone zcu Behem freiheit von marcgrave A. beswert vnd zu der notwere, die dann eynem ydem von naturlichen rechten erlaubt ist, gedrungen werden, so sein wir desselben marcgraven widerstander vnd notwerer worden zu ... beschirmunge vnser, vnser crone vnd der vnsern obirkeit
    1461 FRAustr. 44 S. 186
  • der in notwere oder in zorne eynen vom leben zum tode bringet oder straßrawbt oder deßgleichen, dorüber ist das nachgericht, das er söll mit dem swert enthawpt werden
    1464 BayreuthStB.1 350
  • daz er kegen N.H. eyne notwere getan unde sin lebin geschutczt habe, unde butit solliche notwere byzcubrengen
    1474 PössneckSchSpr. I 161
  • hwaso een orem deya wil, ende wert hij dan him wter needwer, so aegh hij, deer't deth, aldeer frij fan to wessen, ende is boetloes, ende aegh nen ferden
    1480/81 JurFris. II 160
  • off eyn gilde broder den anderen to tode sleyt vnde synt de gilde broder dar by so scholen se eme synen doet helpen weren offte so konen, deyt he noetwere so schal he synen eruen betteren xl marck vnd der gilde iij mark
    1486 RevalStR. II 19
  • so einer fur lantgericht kome vnd zeigt an, das er ymant entleibt hett in einer not vnd gegenwerhe ... das ime durch recht kein peinlich straff mocht auffgelegt werden
    1503 BambLGRef. [10]
  • was dat [Tötung eines Menschen] notwere, so dat he dar nene not van hadde
    1524 HambChr. 48
  • so einer jnn einer rechten bewiesenen notweher wider seinen willen einen vnschulldigen ... so er den nöttiger meynet ... entleipt hatt, der ist auch vonn peinlicher straff enntschuldigt
    1532 CCC. Art. 145
  • wordt hy [der mit Gewalt in ein Haus eindringt] alsdan by yemande, daer inne synde, gequetst oft dootgeslagen, die en verbeurt nyet ..., maer wordt tselve alsdan gehouden voer noodtweere 
    1545 CoutAnvers I 144
  • ende die, geaggresseert zijnde, in nootwere van zijn persoone den aggresseur dootslaet ende hem stelt daernaer in handen van der justicie, daer hij den dootslach gecommitteert heeft, ende daerof behoorlick dede blijken, en sal nyet verbueren
    1550 UtrechtRBr. II 401
  • welcher ein rechte notwehr zu rettung seines leibs vnd lebens thůt, vnd den jenen, der jn also benoͤtiget, in solcher notwehr entleibt, der ist darumb straff des todtschlags nit schuldig
    1558 Gobler,StatB. 148r
  • wann einer den todschlag bekennet, und vorwendet, er habe es zu seiner errettung und defension thun muͤssen; er kan aber solche notwehr nicht beweisen, wie es zu halten?
    1572 CAug. I 119
  • van nodtwehre und manbote
    1572 NordstrandLR.(nd.) III 43
  • welcher ain rechte notwoͤr zů rettung seines leibs vnd lebens thuet, vnd den jhenen der jne also benoͤttiget, in solcher notwoͤr entleibt, der ist darumben niemand nichts schuldig
    TirolLO. 1573 VIII 49
  • auch wisse, dz ein man mancherlei weisse sein gutt auf seine erben nicht mag geerben ... zum sechsten ob ein man seinen vater oder mutter tödtet oder sonst seinen magen dz er wartendt were ohne nohtwehr oder vorwissende
    16. Jh. Wasserschleben,SuccO. 158
  • weil aber beclagter solches nicht gestehen wollen, sondern sich uf eine notwehr, und das er von dem entleibten erstlich provocieret ... worden ... sich ziehen wollen
    1615 BrandenbSchSt. II 545
  • zu einer rechtmaͤßig zugelassenen notwoͤhr wird ... erfordert, daß ... der jenige, so sich dero in rechten bedienen will, von seinem gegentheil mit toͤdlichen waffen ... angefochten ... und also zur gegenwehr benoͤthiget worden [weiterhin zur Kasuistik]
    NÖLGO. 1656(CAustr.) 63 § 1 - 3
  • wie nun ... die herren nachbohre auf bemelten fahl die notwehr unnd waffen auch zu ergreiffen geträngt ... werden
    1657 Widnau p. 99
  • rechte notwehre ist also, ob ein mann den andern anlauffet, und jenner ... fleuhet von ihm ... der lauffet ihn an und schlecht uf ihn, yener wert sich und schlecht den mann zu todt, mag er die notwehr behaben
    1671 Schottel,SingJur. 360
  • es soll jeder officierer ... sein gewehr zu seiner noth- und gegenwehr brauchen, der dawider handelt, soll lebens-verlust ... zu gewarten haben
    1673 Lünig,CJMilit. 865
  • zumahlen die notwehr in der frischen that und auf frischem fuß waͤhrenden angriffs und anwesender gefahr geschehen muß
    1730 Leu,EidgR. III 52
  • zu einer rechtmaͤßig-zugelassenen notwehr wird fuͤrnehmlich erforderet ... daß derjenige, so sich derselben in rechten bedienen will ... zur gegenwehr seye genoͤthiget worden ... daß er sein leib, leben, ehr, oder guten leumuth weder mit der flucht, noch auf eine andere ... weise habe retten koͤnnen ... daß es gleich an dem ort ... wo der handel entstanden, von stund an ... beschehe
    1769 CCTher. 84 § 1
  • ein nothwendiger todtschlag oder eine sogenannte nothwehr ist vorhanden, wenn man zur vertheidigung seines lebens und leibes, seiner guͤter und ehre, seiner familie und eines jeden unrechtmaͤssiger und gefaͤhrlicher weise angefallenen einen todtschlag begehet
    1783 Quistorp,GrundsPeinlR. 450
  • so rechtmaͤssig auch eine unverleumdete person sich wider den nothzuͤchtiger der nothwehr bedienen kann, so ist jedoch aus der unterlassenen nothwehr eben so wenig, als aus der etwa erfolgten schwangerschaft, auf die einwilligung der angeblich genothzuͤchtigten person zu schliessen
    1783 Quistorp,GrundsPeinlR. 938
  • sind nicht alle diese erfordernisse der notwehr da, so ist eine ueberschreitung der notwehr (excessus moderationis inculpatae tutelae, moderamen deculpatae tutelae ...) vorhanden und es findet alsdann die strafe des dolosen oder culposen verbrechens statt, dieses gewoͤhnlich bey blosen vertheidigungsanstalten zur notwehr, jenes bey eigenem angriffe
    1798 Grolman,KrimRWiss. 113
  • der gebrauch der privatgewalt eines bürgers zum schutz seiner rechte gegen eine angefangene beleidigung, unter einer voraussetzung, wo der schutz der öffentlichen macht unmöglich ist, heisst notwehr 
    1808 Feuerbach,PeinlR.4 37
  • für den besitzer ist gegen den dieb das recht der notwehr begründet. wen ich aber des nachts in diebischer absicht in meinem hause finde, den zu tödten, habe ich unbedingt das recht
    1808 Feuerbach,PeinlR.4 281
  • wer die graͤnzen der notwehre uͤberschreitet, ist dafuͤr verantwortlich
    1811 ÖstABGB. § 19
  • gegen notwehr gibt es keine notwehr 
    oJ. Schmidt-Wiegand,DtRsprw. 255
II
Tatwerkzeug
  • wirt er [der einen zu tôde geslagen hat] begriffen in der hanthaften tât, man sol ime die nôtwer binden in sîn hant, dâ er den schaden mit getân, êre der richter und di schepfen dâ zû kumen
    um 1348 ZwickauRb. III 18
  • man sal ome dy notwere [aL. S. 494: mortwere] binden in dy hant, durch der hanthaften tat, da er den schaden mit getan hat, er der richter unde dy schepphen dorczukomen
    nach 1358 Rb.n.Dist. IV 6 Dist. 7
  • dann wirt er in verzweifelten sachen die notwere zucken
    1. Hälfte 16. Jh. Franck,GermChr./DWB. VII 956
III
Schutzwehr, Befestigung
  • den andern stetten ... gebot er, das sie zum zeichen warer underthenigkeit alle ire notwer, pastei, mauren und thürn nidderlegten
    1. Hälfte 16. Jh. Franck,GermChr./DWB. VII 956
unter Ausschluss der Schreibform(en):
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